Was der Mensch mit Insekten machen kann

Eifrige Helfer

Bild: Installation mit Industriehummeln für Workshop Brummtier, S. Schwabe, 2019

Etwa 80 % aller Wildpflanzen und 150 verschiedene Nutzpflanzen in Europa sind auf die Bestäubung von Insekten angewiesen. Dabei sind es bei Weitem nicht nur die vom Menschen am häufigsten genutzten Bestäuber, die Honigbienen, die diesen wichtigen Job übernehmen. Neben Käfern, Fliegen, Schmetterlingen und in anderen Ländern sogar Vögeln und Fledermäusen sind es vor allem die Wildbienen, die das Überleben unzähliger Pflanzen und unsere Ernteerträge sichern.

Dazu gehört auch die Hummel, deren Rolle für die Bestäubung lange Zeit als weniger bedeutend eingeschätzt wurde. Heute weiß man: Hummeln liefern zwar keinen Honig, sind aber sehr effiziente Bestäuber im Obstbau und in der Landwirtschaft. An ihrem großen und haarigen Körper bleiben besonders viele Pollen haften und im Gegensatz zu Honigbienen fliegen sie auch bei kühleren Temperaturen. Es gibt sogar einige Pflanzen, die ausschließlich von Hummeln bestäubt werden, wie z. B. Klee, Erbsen oder Bohnen. Rotklee, eine wichtige Futterpflanze für die Viehwirtschaft, hat Blüten mit langen, engen Blütenröhren, die von Bienen aufgrund ihrer zu kurzen Rüssel nicht bestäubt werden können. Nur langrüsselige Hummeln sind in der Lage, den Fortbestand der Pflanze zu sichern. In Frankreich und in Dänemark ist es daher bereits üblich, neben Rotkleefeldern Hummelnester aufzustellen – eine umstrittene Praxis, die Kritiker*innen zufolge auch dazu führen kann, dass das umliegende Ökosystem gestört wird, da andere Insekten verdrängt werden können.

Krabbelnde Sattmacher

Bild: Mehlwürmer zum Anfassen für Workshop Brummtier, S. Schwabe, 2019

Entomophagie lautet der Fachausdruck für etwas, worüber in Westeuropa bis heute eher mit Ekel als mit Appetit gesprochen wird: das Essen von Insekten. In vielen anderen Regionen der Erde und für rund zwei Milliarden Menschen gelten Insekten seit jeher als wichtige Nährstoff- und Energielieferanten und als fester Bestandteil der landesspezifischen Küche.

Auch geschichtlich betrachtet war Insektenessen eher die Regel als die Ausnahme: Die alten Griechen und Römer etwa sollen auf ihren Festen fette Larven verspeist haben und bis Mitte des 20. Jahrhunderts war Maikäfersuppe in Deutschland und Frankreich ein bekanntes Gericht. Heute sieht sich auch der globale Westen mit Herausforderungen konfrontiert, die Ekelgefühle als unverhältnismäßigen Luxus erscheinen lassen: Bevölkerungswachstum und Nahrungsmittelknappheit zwingen zum Umdenken.

Grillen, Würmer, Heuschrecken und Käfer sind ernährungsphysiologisch günstige Nahrungsquellen und in der Produktion – so die gängige Auffassung – weitaus nachhaltiger und umweltfreundlicher als Fleisch. Da Insekten wechselwarme Tiere sind, benötigen sie weniger Energie als klassische Nutztiere, ihre Futterverwertungseffizienz wird dadurch als höher und ihre CO2-Bilanz als günstiger eingestuft. Der essbare Anteil von Insekten liegt mit 80 % zudem deutlich höher als beispielsweise der vom Rind (40 %). Hinzu kommen ethische und Tierschutzaspekte. Um die sogenannten Speiseinsekten (vor allem Grillen, Heuschrecken und bestimmte Käferlarven) auch Europäer*innen schmackhaft zu machen und hierzulande als nachhaltige Nahrungsquelle zu etablieren, förderte die EU die dazugehörige Forschung zwischen 2013 und 2016 mit rund 3 Mio. Euro.

Engagierte Produzenten

Bild: Seidenspinnerraupen zur Wissensvermittlung für Workshop Brummtier, S. Schwabe, 2019

Aus Insekten gewonnene Rohstoffe werden schon seit langer Zeit für die Produktion von Lebensmitteln, Textilien und Schmuck verwendet. Der Farbstoff Karmin E 120 etwa, der heute noch Lippenstiften und bis vor Kurzem auch noch dem Campari-Likör seine rote Farbe gab, wird aus der Cochenilleschildlaus gewonnen. Der Faden der Seidenraupe, der Larve des Seidenspinners etwa, wird seit Jahrtausenden von Menschen verwendet, um daraus edle Stoffe wie Maulbeerseide, Taft oder Organza zu weben.

Heute ist die von Raupen produzierte Seide längst kein Luxusgut mehr, sondern wird u. a. in Bettdecken, Schirmen, Fallschirmen, Unterwäsche oder Zahnseide verarbeitet. Ihr Faden besteht aus Seidenprotein-Fasern und dem Klebstoff Sericin. Im Körper der Seidenraupe noch mit Wasser vermischt, verketten sich diese beiden Bestandteile unter Einwirkung von Sauerstoff zu einem sehr belastbaren Strang.

Forscher*innen fanden vor einigen Jahren heraus, dass sich die Grundessenz von Seide zu einer Art Bio-Plastik verarbeiten lässt, das in der Medizintechnik, Optik oder Mechanik eingesetzt werden kann. In ihren Experimenten extrahierten die Forscher*innen aus Seidenkokons das Sekret, das die Seidenraupe in ihrem Körperinneren produziert. Die daraus entstehende, klare Flüssigkeit ließ sich, nach Verdunstung des Wassers, zu verschiedenen, harten oder flexiblen Produkten verarbeiten. Zu künstlichen Blutgefäßen etwa, die in der Lage sind, sich nach einer festgelegten Zeit wieder im Körper aufzulösen, oder zu Seiden-Knochen aus dem 3-D-Drucker. Neben der Medizin werden bereits weitere Anwendungsgebiete des Materials getestet: Als Alternative zu Kunststoff ist es auch in Becher- oder Strohhalmform funktional – jedoch noch zu teuer in der Herstellung.

Systemrelevante Krabbler

Bild: Insektenfangen und -bestimmen als Einstieg zu Workshop Brummtier, S. Schwabe, 2019

Keine Insekten, kein Vogelgezwitscher und ein Zusammenbruch unserer Ökosysteme – wovor Forscher*innen seit einigen Jahrzehnten warnen, erscheint als ein Szenario apokalyptischen Ausmaßes. Doch in den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Insekten und deren Arten weltweit so stark verringert, dass Vorstellungen dieser Art angemessen erscheinen.

Eine Studie bestätigte 2019, dass sich die Artenzahl der über 2700 untersuchten Insektenarten zwischen 2008 und 2017 um ein Drittel verringert habe. Und auch die weltweite Dimension des Insektensterbens wurde 2019 durch eine australische Übersichtsarbeit bestätigt – die Forscher*innen prognostizierten ein Aussterben von etwa 40 % aller Insektenspezies in den nächsten Jahrzehnten, wenn nichts gegen dessen Ursachen getan würde.

Diese liegen den Insektenkundler*innen zufolge in Biotopverlusten durch verstärkte Stickstoffdüngung, der Zerstückelung der Landschaft, Pestizideinsatz und der zunehmenden Verbreitung von Monokulturen in der Landwirtschaft. Auch Antibiotika und Hormone aus dem Abwasser könnten Forscher*innen zufolge eine Gefahr für Insekten darstellen. Durch die zentrale Rolle von Insekten als Bestäuber von Pflanzen und als Nahrung anderer Arten gilt ein Schwund der Insektenzahl in der Ökologie als besonders problematisch. Insekten sind unter anderem auch als Destruenten, also Biomasse verstoffwechselnde Lebewesen, von großer ökologischer Bedeutung. Das weltweite Insektensterben gefährdet damit andere Tier- und Pflanzenarten – und die Nahrungs- und Lebensgrundlage des Menschen.

Insekten imitieren

Bild: Asiatische Marienkäfer und andere Nützlinge zur Wissensvermittlung für Workshop Brummtier, S. Schwabe, 2019

Wie Insekten aktueller Forschung als Wissensressource und Inspirationsquelle dienen können, um Wirkstoffe und Behandlungsmethoden zu entwickeln, lässt sich gut am Beispiel der Marienkäferart Harmonia axyridis mit ihrer charakteristischen 4-Punkt-Zeichnung illustrieren. Die z. B. in China und Japan heimische Käferart wurde Ende des letzten Jahrhunderts besonders in europäischen Gewächshauskulturen mit großem Erfolg gegen Blattläuse eingesetzt. Nun setzt sich die Art auch gegenüber anderen heimischen Käferarten durch.

Als Grund nennen Forscher*innen unter anderem die Hämolymphe, das „Blut” des Käfers. Diese enthält im Vergleich zu anderen Arten viele antibakteriell wirkende Peptide, die den Käfer vor Krankheiten schützen. Forscher*innen ist es unlängst gelungen, die Gene zu isolieren, die das umfangreiche antimikrobielle Repertoire des Käfers codieren.
Sowohl an den Eiweißen als auch an dem Wirkstoff ist die Medizin interessiert, denn sie versprechen die Entwicklung neuartiger Antibiotika, auch gegen Malaria.

Neben Marienkäfern suchen Forscher*innen auch bei anderen Insekten nach wirksamen Stoffen für die Herstellung von Arzneimitteln, so auch bei den Larven von Fliegen. Als biochirurgisches Mittel schon seit Jahrtausenden bekannt – etwa für das Abtragen und Verdauen von schädlichem Wundgewebe – wurde jüngst auch die antibakterielle Wirkung der Ausscheidungen von Fliegenlarven für die Herstellung von Antibiotika erforscht.

Manipulierte Tierchen

Bild: Sterilisierte Moskitos zur Wissensvermittlung für Workshop Brummtier, S. Schwabe, 2019

Malaria bekämpfen oder Ernteausfälle durch Schädlingsbefall verhindern – ein Werkzeug der Synthetischen Biologie verspricht, genau diese Ziele Wirklichkeit werden zu lassen: Die sogenannte Gene Drive-Technik zielt darauf ab, durch gezielte genetische Veränderung eine Eigenschaft zusammen mit einem genetischen Kopiermechanismus in einen Organismus einzubringen, um spezielle Merkmale dauerhaft zu verändern. Während bei klassischen Vererbungsfolgen eine genetische Veränderung nur an die Hälfte der Nachkommen weitergegeben wird, kann sie bei einem Gene Drive an alle Nachkommen vererbt werden und sich so schnell in der Population ausbreiten.

Dabei sind Gene Drives auch in der Natur nichts Ungewöhnliches. Bei einigen Organismen haben sie sich natürlicherweise entwickelt, etwa bei Hefen, Würmern, Insekten, Fischen und Nagern. Bereits vor über 50 Jahren hatten Wissenschaftler*innen die Idee, dieses Phänomen zu nutzen, um Eigenschaften in Populationen gezielt zu verändern. Da die Technik nur bei Arten funktioniert, die sich geschlechtlich fortpflanzen und eine kurze Generationszeit haben, zielen Anwendungsszenarien für Gene Drive-Verfahren vor allem auf Insekten ab, etwa um die krankheitsübertragenden Gene der Malaria-Mücke auszuschalten oder Schadinsekten wie etwa die für Obstbauern existenzbedrohende Kirschessigfliege Drosophila suzukii zu kontrollieren. Gene Drives werden kontrovers diskutiert, da sie mit Risiken für Ökosysteme und Menschen einhergehen können. Forschungsarbeiten finden daher erst im Labor oder Halbfreiland statt. Eine andere Methode, die Sterile-Insekten-Technik, bei der Populationen von Schadinsekten durch einige stilisierte Individuen dezimiert werden, wird dagegen schon seit einigen Jahrzehnten angewendet.